Autozynik: "Nye Kartofler"

"Ein Album, das einen ratlos zurücklässt, weil so eigenwillig und freigeistig – so, wie man sich Punk ganz ursprünglich vorstellt."

OX #90/ Juli 2010

Heinz K. - Artikel im Noisy Neighbours - Magazin

www.noisy-neighbours.com Nr. 16, Teil 1 (pdf)
(pdf direkt downloaden)

Gummo - Rezension Ox Nr.65 April-Mai 06

"Das Münchner Bodensatz-Label ist schon eine Klasse für sich: In diesem selbst ernannten "kulturellen Enddarm der Stadt" treffen sich Krachmacher, Gitarrenhelden, schräge Typen, LoFi-Experten und Tontüftler, stellen in unterschiedlicher Zusammensetzung das Personal für rund zwei handvoll Bands und scheinen dabei nur einen wirklichen Gott zu kennen: Den Trash! Neueste Enddarm-Ausscheidung ist GUMMO, eine Formation zweier Krachmacher aus anderen ebenso wunderbaren wie seltsamen Bodensatz-Bands namens AUTOZYNIK, ABU BIMBEL, KUBE NOTHAFT oder EAT ME TENDER. Und warum eine CD rausbringen, wenn man auch zwei machen kann? GUMMO zumindest haben es getan und schieben ihrem Erstling "The Gruesome Twosome" noch eine mit 54 Songs (!) auf gerade mal 37 Minuten bestückte CD namens "Piqueur Acts" hinterher, aufgenommen in gerade mal vier Takes. Wie das klingt? Genau so! Brachiale Gitarre, Bass, Schlagzeug, verzerrter Gesang und wirre Texte oder so etwas Ahnliches vermengen sich zu kurzen Soundfetzen, irgendwo in der Welt zwischen bis in die Magengrube gehenden Metal und alles zerstörenden Hardcore. Eine wunderbar fiese Sache und nicht für depressive Menschen oder ästhetische Hardliner zu empfehlen. "100 Prozent improvisiert, 100 Prozent unausstehlich" sagen GUMMO selbst über ihr Side-Album. Etwas eingängiger, aber trotzdem keine leichte Kost: "The Gruesome Twosome", mit über 75 Minuten ein echter Longplayer mit gerade mal 25 Tracks, die einem irgendwie alle etwas bekannt vorkommen. Der fiese Soundangriff von "Piqueur Acts" findet hier etwas gradlinigere und teilweise eingängigere Songstrukturen zwischen MELVINS, langen Gitarrenlinien und süßen Popmelodien. Eine unglaubliche Mischung weit abseits des langweiligen Mainstreams. (75:32/37:06) (8/7)"

(Alex von Streit)


weitere Kritiken auf der Gummo-Homepage


Bodensatz-Artikel im Skug Nr. 66

BODENSATZ
Mit 17 Veröffentlichungen in fünf Jahren gehört das Münchwner Bodensatz-Label zwar nicht zu den Ultraworkaholics, dafür transformieren sie aber auch nicht die eigenen DIY-Attitude in neu-ökonomisch/jungunternehmerisches Ich-AGlertum.
Denn: »Bei uns ist jede Einzelperson ihre eigene Szene. Bei uns macht auch jeder andauernd eine Szene wegen irgendwelchen Lapalien.« (Benno Zehetmair/Bodensatz)
Ein Videotheken-Theken und E-Mail-Ferntalk über CDs, Bücher, Videos und Soli-Feste mit Chris Nothaft, Harry Streng und Benno Zehetmair

TEXT: Didi Neidhart


Begibt man sich mit mehreren Bodensatz-Leuten in einen auch nur losen Gedankenaustausch, wird schnell klar, dass hier sehr individuelle Schädeln am werkeln sind, die dennoch auch als Kollektiv-Hirn »Bodensatz« bestens funktionieren. Um Big Business geht es dabei sowieso nicht. Denn das sich selber als »Trashlustigkeit« beschreibende und sich dabei zwischen »den Bereichen Experimental-Elektronik, MIDI-Karaoke, Trash, Punk, Sülze, Ukulelen-Gitarren-Pop und Hardcore« verortende Münchner Label lebt vor allem von der eigenen Begeisterung für jede noch neu zu entdeckende, wie jede schon länger bei Bodensatz tätige Band. Logischerweise wird dabei Vieles privat bzw. aus gemeinsamen Geldtöpfen (Festival/Party-Einnahmen) finanziert oder von Freunden oder der Familie geliehen. Wobei auch ein in neoliberalen Poprepubliken scheinbar angestaubter Begriff wie »Solidarität« hier seine praktische Rehabilitierung erfährt.

Rage Against Abschiebung

Auch wenn sie selber Zuschreibungen wie »politisch« gerne sofort vom Tisch wischen (auch weil das eben wieder so ein »Eck« wäre) sind Sampler wie »Heinz K. aus H.« (vgl. skug 64 und mittlerweile ein echter Hit) oder das demnächst erscheinende Hörspiel »LH-588«, neben Mitwirkungen bei »Rage against Abscheibung« auch keine Peanuts.
Dazu Benno: »’Rage-against-Abschiebung’ ist kein Bodensatz-Projekt. Die Gewinne kommen dem ‚Bayerischen Flüchtlingsrat’ zugute, wo Bodensatz-Gründer Matthias Weinzierl einer der Geschäftsführer ist. Aber ‚Rage’ gab es schon bevor er dort gearbeitet hat. ‚LH588’ ist dem Sudanesen Ameer Agib, gewidmet, der im Lufthansa-Flieger ‚LH588’ dank deutscher Brutalo-Polizei und deren Ruhigstellungsmethoden erstickt ist (was in Österreich an den Fall Omofuma erinnert, Anm.). Das Projekt ist tatsächlich aus der konkreten Asylarbeit in der mittlerweile mehr oder weniger aufgelösten Münchener Asylinitiative ‚Deportation Class’ entstanden.«

Freundeskreis / Bauchladen

Woran einem das ganze Unternehmen Bodensatz sofort erinnert ist - neben dem „Ideal“ eines sich gerne selbstausbeutenden Freundeskreises - ein gut bestückter Bauchladen. Geht es hier doch weniger darum zwischen verschiedenen, sondern auf ebensolchen Stühlen zu sitzen (auch wenn diese manchmal wackeln). An eine Art »Qualitätskontrolle« sei dabei gar nicht zu denken. Benno: »Wir hauen immer noch alles raus was uns gefällt. Der Bodensatz wächst eher wie ein Tumor oder Pilz, ziemlich unberechenbar.« Und wenn erweitert wird (etwa um Acts wie Kamerakino oder Umaradum), dann »durchaus nicht wahllos«, so Chris. Weil »verzetteln kann sich nur, wer ein Ziel hat.«
So zeigen gerade die CDs von Chris Nothaft, die von ersten DIY-Werkschauen zwischen Electro-Billy, Metal-Freakout & Akustik-Blues über Glam mit SST kreuzendem Kompliziert-Metal ohne dabei Metal sein zu wollen (KubeNothaft) eine Entwicklung auf, die nun in Form von Gummo (siehe auch Reviews) einen unglaublichen, jenseits jeglichen Spinner/Nerdtums angesiedelten Höhepunkt einer Art von Musik gefunden hat, die wir so eigentlich nur von Bands wie Flying Luttenbachers, Ween oder Bobby Conn her kennen.

Isaak Newton in der Bayern-Disko

Dass es daneben dann aber auch noch Bands gibt, die einem im Guten an die Möglichkeiten bayerischer Abwandlungen der Russen-Disko-Plage denken lassen, erfreut dabei nur umso mehr. Warum nicht auch mal lachen? Zwischen Privat-TV-Comedy und Fanny Van Dannen muss es ja noch Platz geben. Etwa für Acts wie die Wolf Biermann Explosion, Ähnliche Künstler oder AutoZynik, Raps über Isaac Newton oder Lieder zum Thema Hausstaubsmilben. Was dann auch (speziell beim Sampler »Hirn No.1«) nicht selten an Punk nach dem Stromausfall bzw. an ein Treffen der Muppetsshow mit FDJ-Dissidentengruppen erinnert (aber auch an die längst verblichenen Düsseldorfer NdW-Heroen O.R.A.V.s). Sounds für die »Amöbe Mensch«. Auch jenseits von Musik.
Harry: »Es gibt ja auch die Bodensatz-Theatergruppe ‚Stütze der Gesellschaft‘ Warum sich selbst einschränken? Wenn du kein Instrument halten kannst, bist du vielleicht ein guter Schauspieler.«
Womit wir nun eigentlich bei den Videos und Kurzfilmen gelandet wären, die mit zum Besten bei diversen Bodensatz-Festen gehören. Wovon bisher aber nur ein paar auch als Label-Veröffentlichungen gelten. Etwa »Heinz weiss (naredmaned)« zum Heinz K. oder das Highlight »Corona Hoch« wo man Burschenschaftler beim rituellen Gruppen-Wixen in Bierkrüge sieht - wer als Letzter abspritzt bekommt das gesamte deutsch-nationale Sperma seiner Volksgenossen vorgesetzt und muss es trinken.
Daneben gibt es Comics (»Mafiosi«, von Bodensatz-Gründer Matthias Weinzierl) oder den unglaublichen Kunst-Katalog »Stätten der Welt« von Holger Dosch mit Fotos der Toiletten der berühmtesten Stätten der Welt (u.a. Riesenrad, Neuschwanstein, Stonehenge, Taj Mahal, Mount Everest, White House).

Felix Austria?

Und dann gibt es noch eine auffällige Affinität zu Österreich. So lesen wir auf der Bodensatz-Homepage: »Bodensatz im Rhiz (FM Zombiemaus live, Kreisky live, DJ Koarr): rhiz, besoffen, wir sind in wien, sturzbesoffen und haben sage und schreibe eine cd verkauft! wahnsinn gelle..«
Was aber erst seit dem »Heinz K. aus H.«-Sampler so sei. Dafür sind mit Karl Kilian a.k.a.
FM Zombiemaus, Bulbul, Dietmar Offenhuber, Hans Platzgumer und Austrofred (der sein erstes Konzert in München auf einem Bodensatzfest hatte) durchaus klingende Namen dabei.
Zudem sei es ebenso unfassbar wie beeindruckend, »dass es trotz einer so katastrophal schrecklichen Regierung möglich ist große Summen an Kultur-Fördergeldern an Land zu ziehen. So etwas wäre in der bayerischen Ficki-Mickey-Metropole München gar nicht möglich.« Andererseits, so ekelhaft wie in Wien, »wo alle sich von widerlichen FPÖ-Plakaten beleidigen lassen müssen« ist es dann doch nicht.

More Infos: http://www.bodensatz.de
Tipp : (Harry Strengs exzellent bestückte Videothek für den versierten Trashgeschmack. Achtung: Wer sich „französische Problemfilme“ ausleihen will muss mit harten Konsequenzen rechnen!)


Gummo-Kritik Trust Nr.117

"Absoluter Trash. Zeitweise wird einfach sehr schneller Punkrock geboten, der auch in Richtung Metal abschweift. Zwischendurch hört man dann Didjeridoo Sounds und Pop-Gesang.
Ziemlich schlechte Qualität aber soll wohl charmant und ausgefallen daherkommen. Hat definitiv auch Biafra Humor Einflüsse und ist immer noch sehr viel amüsanter als Anal Beard, wird aber dennoch nach spätestens Fünf Liedern unerträglich."
(alva)

Gummo-Kritik bei Southspace.com

Zitat:"Wenn ich ganz ehrlich bin habe ich keinen blassen Schimmer, was man mit so einem Radau bezwecken will. Soll das Kunst sein? Bin ich zu alt dafür? Oder zu doof? Ist das die logische Fortführung von Stockhausen oder den Neubauten? Protest gegen das Establishment? Ich versteh es nicht. Antworten! Bitte!"

Rezension bei Southspace.com


Gummo-Kritik im Skug Nr. 66 (3-5/06)

"Als Debütanten gleich zwei unterschiedliche CDs herausbringen ist schon ein Wagnis. Aber im Falle von Münchens Gummo (mit Christian Nothaft & Harry Streng als Nukleus) wäre alles andere auch wenig logisch. Auch weil »Logik« hier vor allem einen Schweinsgalopp querfeldein bedeutet, bei dem aber schnell klar wird woher hier die Energien gezogen werden.
»The Gruesome Twosome« (benannt nach einem Film der Blut & Beuschel-Legende H.G. Lewis) verhandelt Metal als Chemieunfall von Psychedelic, kann sich in manchen Momenten nicht zwischen Kiss und Sweet entscheiden, führt stattdessen himmlische Melodien aus dem Fundus der L.A.-Glam-Punk/Kim Fowley-Schule ein und jagt zur Abwechslung 1970er Acid-Blues-Rock durchs kosmische Mischpult. Mit all den Splittern und Fetzen aus Filmen erinnert das alles auch immer wieder mal an den Lachsack-Psychoterror von Flipper.
Dabei geht es hier um weit mehr als Death-Metal zwischen Frühstadium (Death) und White-Trash-Gore-Blei (Autopsy), obwohl gerade diese beiden Pole bei Gummo so frisch daherkommen.
Während »The Gruesome Twosome« 25 Songs in 75 Minuten abliefert, braucht »Piqueur Acts« für 54 Songs gerade mal 37 Minuten. Was auch am Konzept liegen mag. Treten Gummo doch hier auch den Beweis an, dass Improvisations-Metal weder zum reinen Highspeed-Klamauk noch zu falsch verstandenem Gehörsturz-Jazzrock mutieren muss. Was auch daran liegen mag, dass hier zwar munter drauflosimprovisiert wird, es dennoch zumindest inhaltlich-kontextuelle Vorgaben gegeben haben mag. Egal ob grenzgenial-verschmitzte Songtitel wie »Porno Sitcom«, »Suck my dick, Steven Soderbergh« oder »What'a a nice girl like you doin in an anal movie?« schon vorher fest standen, oder nicht - auch hier zeigt sich, dass eine gute Filmsammlung schon was ausmacht (Gummos Harry Strengs Videothek ist ja nicht umsonst ein allseits geschätzter Umschlagplatz einschlägiger Waren). Was aber am meisten begeistert: Aus beiden CDs kann eine klasse, verschrobene Pop-Scheibe im Geiste von Ween herausdestilliert werden. Aber das kommt vielleicht noch."

(Didi Neidhart)


Heinz-K.-Kritik im Skug - Magazin

»Heinz K. aus H.

Bodensatz/www.bodensatz.de

Poor White Trash einmal anders: In der Wohnung eines verstorbenen Hamburger Rentners findet ein Umzugsunternehmen beim Entrümpeln ein Tonbandgerät inklusive eines Bandes mit 90 Minuten. Der Inhalt: Überwachungsprotokolle. Denn der nun Heinz K. aus H. genannte Pensionist verbrachte seine letzten fünf Lebensjahre mit dem Beobachten und Ausspionieren seiner Nachbarschaft und hielt diese Beobachtungen zusammen mit Gedanken zum Thema auf Tonband fest. Besonders der »asoziale, kriminelle Grieche« (O-Ton) von nebenan wird penibelst beobachtet. Neben typischen, rassistisch motivierten Denunziationen sowie Hass-Tiraden gegen Alles und Jeden, wird über UFOs philosophiert (»Ich hoffe, die sind human.«) und brutal gedroht (*»*Wenn ich Kapo in der Hölle wäre, dann...«). Speziell aber bei lauter »Rumsbumsmusik« brennen dem selbsternannten, jedoch ohnmächtigen und daher umso autoritätsgläubigeren Blockwart die Sicherungen durch. In deutscher Übergründlichkeit werden Vorgänge im Haus auf Kassette protokolliert. Allesamt Situationsbeschreibungen, die in ihrer Präzision schon zur Vorlage bei Gericht gedacht sind. Ein Beispiel: »12.5.1998, gleicher Tag, 22.10 Uhr, vier Mann da und er wahrscheinlich auch, weiß ich nicht. Ihn interessieren keine Gesetze, ihn interessieren keine Hausordnung, ihn interessiert kein Mietvertrag, ich mach was ich will, genauso sieht es aus. Und deswegen ist jetzt hier Theater, mal sehen wie das ausgeht.«

Das klingt nicht selten wie Rolf Dieter Brinkmann in Gestalt eines reaktionär-faschistoiden Kleinbürgers (vgl. dazu den Artikel zu Brinkmann im letzten skug) der eben auf seine Art statt dem »deutschen Sonntag« die Realität in deutschen Hochhäusern hasst und dies angewidert, ungefiltert und depressiv-misantrop für die Nachwelt (mit dem Gericht als eigentlich einzigen imaginärerer Ansprechpartner) aufzeichnet. Dabei weniger ein Herr Karl, als viel eher ein Thomas Bernhard von Rechts, der immer noch an der Heimatfront kämpft und dabei eine Sprache verwendet, die eher an die bleiernen 1970er als die späten 1990er erinnert. Jedenfalls kam eine Tonband-Kopie eines Tages auch zum Münchner Weirdo-Label Bodensatz, wo es auf CD gebrannt, vervielfältigt und an alle möglichen musikmachenden Menschen (u.a. Schlampeitziger, Blond, Hidari, FM Zombiemaus, Sarah Bogner, Franz Adrian Wenzl, Low Joe) mit der Bitte verschickt wurde, sich diverser Zitate anzunehmen und diese musikalisch zu untermalen, zu bearbeiten, zu kommentieren. Herausgekommen ist dabei eine in eine Vorderhaus- und Hinterhaus-Seite unterteilte Doppel-CD, die schon jetzt zu den Höhepunkten des Jahres zählt. Nicht nur wegen dem Ausgangsmaterial, sondern auch wegen dem schon lange nicht mehr da gewesenem Umstand einer 100prozentig gelungenen musikalischen Durchhörbarkeit. Da gibt es keine Lost Tracks, keinen Proberaumabfall, sondern ausschließlich Hits. Was wohl auch mit am Thema gelegen haben mag. Und so klingen Schnuffel, das total süße Eichhörnchen bei »Unerwarteter Besuch« wie beste Foyer Des Arts, trifft Koarr (aka Benno Zehetmair) mit »Heinz Special K Meets Norman B« den Nagel auf den Kopf und gehen Aprés Schizo (»Bumsmusik«), BulBul (»Fremder hingepisst«) und speziell Tomoroh H Platzgumers »Blockwartlaunen« im »Jo Ashito Acid Mix« in die Gemeindebaukellerdisco. Gäbe es einen skug-Hörspielpreis - »Heinz K. aus H.« würde ihn sofort bekommen! Kaufen! Hören! Weitersagen! Verschenken!«

Didi Neidhart


Heinz-K.-Kritik in Das Dosierte Leben/ Reh-Zensionen 39

DoCD ,,Heinz K. aus H." (Bodensatz)

Ein weiteres Werk der Dekonstruktion, in dem der Labelname Programm ist.Denn hier erhalten wir Einblick
in die ethische Denk- und Handlungsstruktur eines Zeitgenossen, der eher als bodenständig einklassifiziert werden kann. Den Rohstoff für eine fürwahr Re-Mix-Orgie vor dem Herrn lieferte der Rentner Heinz K. aus Hamburg, der seinen wohlverdienten Lebensabend durch "Rums-Bums-Musik" (Chiffre ,,RBM") seines gesamten Wohnumfeldes im allgemeinen und seines Nachbarn Stochodakis nachhaltig gestört sieht und in deutscher Gründlichkeit ein Protokoll auf Kassette führte, das in seiner detaillierten Präzision als Blaupause für jeden Notariatsnovizen dienen konnte. Das Bodensatz-Label, dem diese Kassetten zugespielt wurden, dekontextualisierte die hamburgerischen Original-Töne und stellte sie einschlägigen Künstlern wie Loopspool, Rumpeln, Random Sleeping, Schlammpeitziger, Ombudsman oder Ku Klux Klang als Rohmasse (sic!) für moderne musikalische Interpretationen zur Verfügung. Diese generierten aus den meist deskriptiven, hin und wieder emotional vorgetragenen Situationsbeschreibungen ("12.5.1998, gleicher Tag, 22.10 Uhr, vier Mann da und er wahrscheinlich auch, weiß ich nicht. Ihn interessieren keine Gesetze, ihn interessieren keine Hausordnung, ihn interessiert kein Mietvertrag, ich mach was ich will, genauso sieht es aus. Und deswegen ist jetzt hier Theater, mal sehen wie das ausgeht.") ein ganz und gar originelles elektronisches Sampled-Groove-Album, abgehangen und treibend. Zwar mag einem das Schmunzeln hin und wieder im Halse stecken bleiben angesichts der schonungslos aufgezeigten Realität in deutschen Hochhausern, doch ist diese Konzeption einzigartig und innovativ (und dies schafft man heute, wo es ja schon "alles gibt", nicht mehr oft) und das Bodensatz-Label wird in die Annalen eingehen und hat seinen Stammplatz in der Liste der ungewöhnlichsten Konzeptionen gesichert. Vor 10 Jahren gab es mal einen Remix mit den Erpresseranrufen des Kreativgangsters "Dagobert", dies hier ist die logische Fortsetzung davon. Köstlich ist auch die bereits aufgenommene Kritik "Hörbuch der Woche", in der er hochwissenschaftlich den Mikrokosmos und Denkhorizont dieses bedauernswerten (und mittlerweile verstorbenen, die Kassetten wurden unseren Informationen nach vom Entrumpelungstrupp gefunden) Menschen analysiert.

Werbeslogan: "Realitv-Soziologie-House!"


nachgereicht II: www.bigkult.com über das KubeNothaft - Album

"Musik, um die Seele baumeln zu lassen. Über einem furchteinflößenden Abgrund, der direkt in einen Albtraum ohne Erinnerung, ins Unbegreifliche, in die Hölle der Unendlichkeit und damit der fundamentalen Leere führt.
Musik, um den Geist auf Wanderschaft zu schicken. Durch bizarr-zerklüftete Schluchten und Täler voller Leere und Sinnlosigkeit schnurstracks ins trügerisch Gleißende der Verdammnis.
Musik, um die Augen zu schließen und zu entgleiten. In Dich bis zur Besinnungslosigkeit penetrierende, fiebrige, surreale Visionen.
KUBE NOTHAFT ist Eskapismus fatalistischer Prägung ohne ein Wort der abschwächenden, versöhnlich stimmenden Erklärung. Wer hier wagt zu schweben - und dazu ist man bei der etwas täppisch generierten, toolschen Epik und der noisig-reduzierten Versponnenheit der Musik angetan - wird unweigerlich sein persönliches Pandämonium entfesseln. Also Obacht, nur mit wahnsinnsresistentem Sicherheitsgurt genießen."


nachgereichte Kriktiken zum WBX / Ähnliche Künstler - Album

ALTERNATIVE ART MIT BERICHTEN ZUR LAGE IM BLÄTTER - UND MUSIKWALD:

"wolf biermann explosion+ähnliche künstler – männer um die wurst/frauen um die dreißig

Zu Beginn dieser CD ein gut gemeinter, selbst gegebener Ratschlag: „Ihr macht´s doch so Kabarett, gell? Passt`s auf, da hab ich was für Euch: zwei Skinheads spielen Tennis – Tennis ist absolut megakultig – und der Schiri is ein Kurde mit der PKK-Fahne – und dann kommt der Pfarrer mit nem Medizinball auf die Bühne und sagt: `bei mir kriegt jeder Asyl, und wenn`s aus Ruanda-Burundi san...´ Sowas, sowas müsst`s machen, so a bisserl was mit Politik...“
Und so geht’s dann tatsächlich weiter, 27 Lieder und 61 Minuten lang. Auf ihrer Homepage (http://www.wolfbiermannexplosion.de > unbedingt anklicken!!) bezeichnen sie ihren Musikstil als Polit-Trash, Pop-Comedy, Hop-Hop, Punk & Western und Mini-Rock. Nun, wem diese Spezifikationen nicht genügen, dem füge ich noch hinzu: Helge Schneider auf Acid trifft die Biermösl Blosn mit nem Fliegenpilz...
Richtig: WBX (so ihr Kürze) kommt aus Bayern, „besteht aus sechs Leute, von denen eine Minderheit ein Instrument beherrscht.“ (Selbsteinschätzung) Laut Homepage-Info besteht die Wolf Biermann Explosion seit 1996 und „tingelt sich seitdem durch jede Auftrittsmöglichkeit in München. Nachdem wir nun auch in Köln, Trier, Bad Aibling, Burghausen und New York (anscheinend kein Fake!) gespielt haben, bezeichnen wir uns als international erfahren.“ Zeit wird`s also, daß diese Combo endlich den norddeutschen Raum bereist, um ihre ständig wachsende Fangemeinde (Einschätzung des Rezensenten) auch in diese Richtung zu erweitern.
Tja, favorisierte Lieblingsstücke mag ich gar nicht nennen – Jedes hat seinen ganz eigenen Charme. Vielleicht die sogenannten „Coverstücke“, die mit dem Original kaum oder gar nix mehr gemeinsam haben. („Yellow submarine“, „child in time“ oder „we will rock you“.)
Einfach klasse sind die Wortspielereien, so beispielsweise „talkin`bout a duscholotion“. Textauszug gefällig?
„Nimm die Straßgitarre in die Hand/scheissen auf das Scheisse Land/
Überall Ultraschall, durch Teleskope Ururknall/Auf den Pisten nur Faschisten, Bigamisten, Wählerlisten...“
Und das ist noch harmlos!"

(Christian C. Kruse)


XAVER FRÜHBEISS (BAYERN2RADIO UND HALL OF FAME DER SENDUNG "VORSICHT MUSIK"):

"Die "Ähnlichen Künstler" stehen meist gemeinsam auf der Bühne mit ihren männlichen Kollegen, welche sich "Wolf Biermann Explosion" nennen. Die "Ähnlichen Künstler" sind Mädels. "Wolf Biermann Explosion" sind Jungs, und alle wohnen sie in München. Weil sie so oft miteinander auftreten, bezeichnen die Ähnlichen Künstler "Wolf Biermann Explosion" als ihren Männerchor. Sich selbst bezeichnen die Ähnlichen Künstler als Frauenband mit Frauen, die Instrumente halten und dabei möglichst sexy aussehen. Ich werde das bei Gelegenheit mal überprüfen müssen. Auch die Jungs von "Wolf Biermann Explosion" geben bereitwillig zu, daß sie keine Noten lesen können geschweige denn ein Instrument spielen . Trotzdem sind sie eine Band. Das ist eine mutige Einstellung, die sich bewundern läßt. Zudem stellen die Leute von "Wolf Biermann Explosion" immer wieder tollkühne Fragen, die zu stellen anderen Musikern bisher die Traute gefehlt hat. Und vielleicht die Fantasie.
Warum nur möchte jemand ausgerechnet "Wolf Biermann Explosion" heißen? Diesen Namen haben die Herren von "Wolf Biermann Explosion" gewählt, weil Biermann in ihren Augen für eine bestimmte Form des intellektuellen Scheiterns steht. Und was tun wir denn alle am liebsten, wenn nicht: intellektuell scheitern. Über nichts lacht der Große Geist mehr als wenn ein Mensch versucht zu denken und zu verstehen . Aber nicht nur das Scheitern des hiesigen Intellekts steht im Mittelpunkt der musikalischen Forschungen von "Wolf Biermann Explosion". Neben dem Geist gibt's da ja auch noch den Körper, und der drängelt zuweilen auch zu seinem Recht."


Heinz K. aus H. - Rezension im Spex 6/05

"Angefangen hat die Geschichte laut "Vorderhaus", der ersten CD dieses Doppelpacks, am 6. November 1996. Heinz K., Name von den Compilierern geändert, spricht in sein Aufnahmegerät, zunächst schön das Datum, als würde er seiner Schreibkraft diktieren, danach wird´s schlimmer , muss ja, denn: " Die Menschen sind so saublöd, das gibt´s überhaupt nicht." Das alles soll ein Ende, zumindest aber ein Ventil haben. Also raunte Heinz K. mit stasischer Akribie und unnachahmlichen Ur-Unvertrauen die Mikrophonierung voll:" Das sind Fremde, die hier sind." Hier im Visier: die Nachbarn, dieser Grieche, das Bürgerrecht auf Zimmerlautstärke, die scharrenden Schritte in einem Hamburger Hausflur. "Ich wiederhole....zwei oder drei Fremde." Fünf Jahre lang so was." Übrigens geht von dieser Kopie an die Medien praktisch auch eine."
Ironie seiner Einsamkeit: Statt irgendwelcher Erben löste nach Heinz K.´s Ableben ein Umzugsunternehmen den Rentnerhaushalt auf. Einer fand das Tonbandgerät inkl. 90 Minuten-Tape, vernahm Erstaunliches und reichte den geborgenen Wortschatz so lange an Freunde weiter bis der gichtige Enthüllungswunsch erhört wurde. Der Münchner Bodensatz-Verlag nahm sich liebevoll der Aufzeichnungen an, schickte sie zur weiteren Veranlassung an weitere Elektroniker. Und das, was Heinz K. "Rummsbumms-Musik" nannte, scheppert mit seiner mal verzweifelten, mal aufbrausenden Stimme jetzt posthum im Duett. Manchmal finster, meistens zerstörerisch. Am besten gefallen mir jedoch jene der - inkl. "Rückgebäude- schließlich 66 Tracks, die die Sache etwas launig oder sehr feinrieselnd betrachten. Nicht weil dem vergrätzten Kasperkopp ernsthaft "etwas besseres" entgegengesetzt werden soll, sondern weil aufbauende Sprechblasen wie diese einfach eine musikalische Entsprechung verdienen: "Quintessenz ergo Punkt Punkt Punkt, Ausrufungszeichen, Fragezeichen, Fragezeichen." "

(Doris Achelwilm)


Konkret über Heinz K aus H

"Typisch deutsch ist: früher aufstehen als alle anderen. Da ist man immer müde, kriegt das Hirn nicht recht zum laufen, wird mißmutig und sagt Sachen, die man in keiner anderen Sprache sagt, weil sie in überhaupt keiner Sprache einen Sinn ergeben.
Sachen wie diese: "Jemand ganz leise weg, hustet aber im Treppenhaus, war aber nicht er." "Quintessenz ergo Punkt Punkt Punkt Ausrufezeichen Fragezeichen Fragezeichen" - "Das sind Fremde, die hier sind. Versehentlich gelöscht." So etwas sprach ein Rentner mit dem postum verliehenen Künstlernamen Heinz K. in seinen Kassettenrekorder hinein, fünf Jahre lang.
Typisch deutsch ist, dass er offenbar redend suchte, ohne zu wissen was, ohnmächtig Medienphrasenmüll repetierte ("Deutschland ist auf dem absteigenden Ast") und nichts fand ausser Marginalien, die er als solche sogar erkannte "Dies nur privat nebenbei". Typisch deutsch ist auch die Mischung aus enigmatisch- melancholischem Verdruß (" Es gibt keine Liebe mehr, es gibt keine Demut. Die Welt ist voller Lügen, das ist die Ursache der ganzen Scheiße") und gärendem Angsthass auf Nachbarn und Mitmenschen im allgemeinen, die den Mann nur noch auf jenseitiges hoffen lässt, auf "die Ufos und andere Sterne: hoffentlich sind die human".

Inzwischen hat Herr K. seine Sendungen ("Ürigens geht von dieser Kassette an die Medien praktisch auch eine!") eingestellt, zwangsweise, denn er ist im Sommer 2002 hinausgestorben aus seiner Trutzburg in einem Hamburger Mietshaus, die bald darauf entrümpelt wurde, wobei seine Kassette in Finger geriet, denen er sie bestimmt nicht anvertraut hätte. So landete sie bei einem Münchner Kleinverleger, und nun wird die Sache vollends typisch deutsch: Der Verleger wurde "nachdenklich", trank Bier und hatte dabei die Idee, das dunkelschroffe Textgebirge zu "vertonen" - genauer gesagt, zerschneiden, neu anordnen und mit Geräuschen unterlegen zu lassen, also hören wir nun Herrn K. kaum sprechen, während er förmlich ertrinkt in Rauschendem, Klickendem, Rumpelndem, Bumpelndem, Lärmendem, Zischendem, Hallendem, Gesungenem und anderswie Störendem; da bellt zwischendurch sogar der kongeniale Stoiber den Kommentar zum Kommentar - kommentar: "Ja man muss doch auch mal an das doitsche Folk denken!"
Qualität und Unterhaltsamkeit der Begleitgeräusche schwanken, aber es bleibt Bastelarbeit, die selten Atmosphäre, meist nur Ungeduld erzeugt. Das ist ein bisschen schade, aber ein bisschen geahnt hat Herr K. das wohl schon selbst, als er sein Mikrophon an die Wand zur Nachbarwohnung hielt, um zu dokumentieren, wie er zugeschallt wird mit "Rummsbummsmusik" und hereinflutendem Lebensbegleitungsklang. Immerhin darf er zwischendurch ganz alleine selbst sprechen, sekundenweise, "privat nebenbei" sozusagen."

(Michael Sailer - Konkret Mai `05)


Intro über Heinz K. aus H.

"Wir müssen uns Herrn K. als einen einsamen Mann vorstellen. Er wohnte in einem Mietshaus in einer deutschen Stadt, war Rentner und hatte Zeit. Zeit um die Vorgänge vor seiner Haustür und in den benachbarten Wohnungen zu bespitzeln. Herr K. hatte auch ein Tonbandgerät. Mit diesem protokollierte er, was im Haus passierte. Fein säuberlich mit Datum und Uhrzeit: „Donnerstach, äh, zwölften dritten achtundneunzig. An der Tür, äh, Typ getroffen. Gesagt Zimmerlautstärke, bitte, sonst gibt’s Ärger.“ Oder: „Zwölf Uhr zwanzig. Jemand ganz leise weg, hustet aber im Treppenhaus, war aber nicht er.“ Die Aufnahmequalität ist oft miserabel, die Stimmung und Intonierung von K. schwankt zwischen streng, paranoid und verbittert. Fünf Jahre lang ging das so. Im August 2002 starb er. Bei der Entrümpelung seiner Wohnung nahm ein Möbelpacker das Tonband an sich. Und es landete beim Münchener Bodensatz-Verlag, einem Haufen „frustrierter Consultants, 3-Promille- Homosexueller, gewitzter Spaßbremsen aus der Medienbranche und Slawen“ (Selbstdarstellung). Die schickten den aufgesprochenen Irrsinn des Herrn K. an verschiedene Musiker (u.a. Schlammpeitziger, Hans Platzgumer, Sven „Franzisko“ Mikolajewicz), die diesen nun auf zwei CDs mit holpernden Elektro- und Gitarrenkram verbinden und ein bedrückendes und zugleich interessantes Dokument deutschen Wohnhaus- lebens liefern. Herr K. sitzt derweil im Spießer-Himmel und wundert sich, wie sein Leben zu dieser Rumsbumsmusik verkommen konnte."

(Dirk Mönkemöller - Intro-Magazin, April 2005)


Süddeutsche Zeitung über "Heink K. aus H." (15.3.05)



Die Rache der Rumms-Bumms-Musik
„Heinz K. aus H.“: Bands vertonen heimliche Tonbandaufzeichnungen eines Rentners

Geräusche im Haus. Rentner Heinz K. raunt auf seinen Kassettenrekorder:
„23. Oktober 96. 23.30 Uhr, und ich kann nicht schlafen. Das sind Fremde, die hier sind. Versehentlich gelöscht.“ Die Aufnahme rauscht, knackt. Doch Herr K. ist akkurat: „Jemand ganz leise weg, hustet aber im Treppenhaus, war aber nicht er, Tür unten nicht zu hören, erst 20 Minuten später zweimal.“ Herr K. stoppt das Band, schaltet wieder ein, aus, ein. Mal klingt er wütend, mal niedergeschlagen. Jede Aufnahme beginnt er mit Angabe des Datums und der Uhrzeit. Manchmal korrigiert er sich, als würde er einer imaginären Sekretärin Gerichtsvorlagen diktieren: „Juli, nicht August, wiederhole: nicht August. 16.30 Uhr, die Türen knallen.“ An wen er sich mit seinen Protokollen nachbarlicher Lebensgewohnheiten und Hausordnungsverstöße überhaupt wendet, bleibt unklar — vielleicht an die Polizei oder seinen Vermieter, von denen er sich in irgendeiner Form Abhilfe erhoffen mag. Aber auch was ihn eigentlich im Großen und Ganzen stört, kann er nicht artikulieren. Umso besessener muss er jede Kleinigkeit kommentieren. „Quintessenz, ergo, Punkt, Punkt, Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Fragezeichen.“ Es liegen Tage, oft Monate zwischen den einzelnen Aufnahmen. So geht es fünf Jahre lang, bis zu Herrn K.‘s Tod.
Im August 2002 wird seine Wohnung in einer Hamburger Mietskaserne entrümpelt. Der Zufall will es, dass unter den Möbelpackern ein Sammler skurriler Tonkonserven ist. Er rettet K.‘s Kassetten vor dem Müll und lässt sie unter Freunden kreisen. Viele Musiker und andere Kulturschaffende sind unter den Hörern. Zum Beispiel Matthias Weinzierl, der den Münchner Kleinverlag Bodensatz betreibt. Er sagt: „Erst habe ich gelacht, dann wurde ich nachdenklich.“ Die Bodensatz-Leute erkennen in den Beweisbändern ein tragikomisches Zeitdokument von Thomas Bernhardscher Sprachintensität, in dem gegen Ende auch Ufos, Weltuntergänge und Verschwörungstheorien ihren Niederschlag finden. „Deutschland ist auf dem absteigenden Ast. Es gibt keine Liebe mehr“, spricht K. „Aber die Ufos und andere Sterne, hoffentlich sind die human.“ Aus einer Bierlaune heraus entsteht die Idee zur Vertonung dieser Sentenzen. Der Bodensatz-Verlag schreibt Musiker im ganzen Land an und bittet um Bearbeitung des absurden Tagebuchs.
Mit Sicherheit ist unter den Künstlern keiner, den Herr K. hätte leiden mögen. Seine Abneigung gegen zeitgenössischen Sound - „Rumms-Bumms-Musik“ wie er das nennt — dokumentiert er mehrfach:
„Das ist ja, na ja, reden wir nicht drüber. Geschmackssache, aber auch Charakterstudie.“ Am Ende machen sich 30 Bands und Elektronikprojekte ans Werk, die analog gespeicherten Ausforschungsergebnisse in eigene, digitale Versionen zu übersetzen.
Das Ergebnis liegt nun in Form der Doppel-CD „Heinz K. aus H.“ vor. Darauf sind Stücke verewigt, die Titel tragen wie „Vermutlich Meier! „ (PCN), „Ubrigens im Badezimmer“ (Heinz K.) oder „Analyse du discours“ (Sujet Automatique & femc XXX). In diesen Tracks verwoben sind Originalfragmente von Heinz K.‘s Auslassungen. Ironischerweise wurde dadurch wahr, was er in seinen Aufzeichnungen prophezeite: „Übrigens geht von dieser Kassette an die Medien praktisch auch eine.“ Und die Rache der Rumms-Bumms-Musiker ist subtil. Ihre Minihörspiele auf Basis extrahierter Satzfragmente tüftelten sie penibel aus. Heinz K.‘s Wut über Lärm kontern sie mit noch mehr Lärm. Seine Datensammlungen über das immer Gleiche reflektieren sie mit Loops aneinander montierten Melodie- und Satzschleifen. Der Rest ist demonstrativ entspannte LoungeKomposition. Dabei wird Herr K. nie platt als Blockwart von nebenan vorgeführt, sondern ernst und im wahrsten Sinn beim Wort genommen. Herrn K.‘s Sprüche führen ein merkwürdiges Eigenleben innerhalb der elektronischen Klangästhetik so isoliert wie er selbst zwischen seinen vier Wänden war. Trotzdem sind seine Suaden organischer Bestandteil der Songs. Diese integrierende Herangehensweise der Musiker hat etwas Nächstenliebes.
Und wenn man herausfinden wollte, warum das so ist, musste man zur Feier der CD-Veröffentlichung gehen, die vergangenes Wochenende an einem Ort stattfand, der kongenialer nicht hätte gewählt werden können.
Ein leer stehendes Haus in der Au, Baujahr 1863, blinde Fenster, rußgeschwärzte Fassade. In der klaustrophobischen Enge des Treppenhauses und der Zimmer eines davon nach einem Heizdeckenunfall ausgebrannt - drängen sich mehr als 100 Gäste, um Lesungen aus den Abschriften der K.schen Kassetten und Gigs der beteiligten Künstler zu erleben. Zum Beispiel von Holger Dosch, der die Vergeltungsphantasien K.‘s in seinem Stück „Selbstjustiz, live!“ auf die Spitze treibt. Sätze wie „Was ich früher mal vorgehabt habe, werde ich jetzt wahrscheinlich durchführen“ und „Es gibt einige Tote“, umspielt Dosch zurückhaltend mit elektronischem Minimalismus. „Trotz Allmachtsphantasien merkt man, wie hilflos K. eigentlich ist“, sagt Dosch, „es ist Mitleid erregend.“ Das findet auch Anton Kaun alias Rumpeln aus Weilheim. K.‘s Formulierung „Krach durch Musik“ inspirierte ihn zu einem nervenzerfetzenden Höllengetöse, das er live spektakulär in Szene setzt: Im Gedröhn mehrerer Effektgeräte klebt er einen Tonabnehmer auf eine Bierbüchse, öffnet sie, schreit in das heraussprudelnde Bier, knallt die leere Dose auf den Boden. Am Ende macht er einen Stagedive in die Arme seines geplätteten Publikums. Und da ist Carsten Ermer, der unter dem Pseudonym Schnuffel, das total süße Eichhörnchen zusammen mit Sven Mikolajewicz vom Hamburger Fischmob eine ironische Hommage an Opa-Sprüehe von der „guten alten Zeit“ gedichtet hat. Ermer sagt: „Ich wünsche mir eine Zeitmaschine. Dann würde ich zurück reisen, K. auf einen Kaffee einladen und ihn einfach in den Arm nehmen. Hätte das mal jemand gemacht, wäre er nie so geworden.“

Jochen Temsch



Frankfurter Allgemeine / Feuilleton über "Heink K. aus H" (15.12.2004)

Hoffentlich sind die Ufos human
Einsamer Spitzel ohne Auftraggeber: Wer uns in deutschen Mietshäusern beobachtet / Von Annett Busch

Herr K. ist aufgewacht und kann nicht mehr einschlafen. Es ist gegen Mitternacht. Herr K. drückt die Aufnahmetaste seines Kassettenrecorders. Aus der Wohnung von nebenan dringen dumpfe Stimmen und Musik. Die Tonqualität der Aufnahme ist miserabel, und aus dem Rauschen, Knacksen und Knistern konkrete Geräusche herauszufiltern fast unmöglich. Herr K. jedoch ist deutlich zu hören:"Jemand die Treppe runtergelaufen, zweimal gehustet, aber keine Haustür. Erst zwanzig Minuten später fällt die Tür ins Schloß." Der Kassettenrecorder wird aus- und wieder angeschaltet. "Es sind Fremde hier." Mal nuschelt Herr K., mal wirkt seine Stimme hastig und aggressiv, dann resigniert. Es sind meist nur kurze Beobachtungen, die er festhält, vor jedem Satz spricht er Datum und Uhrzeit.
Oft liegen Monate zwischen den Aufzeichnungen. Am Ende des Neunzig-Minuten-Tapes, wenn es beim 22. Juli 2001 angelangt ist, werden fünf Jahre im Leben des Herrn K. verstrichen sein. Der Mann ist ein Rentner, der die Wohnung eines Mietshauses in irgendeiner deutschen Großstadt bewohnt und sich von etwas, das er nicht genau benennen kann, aber gerade deshalb um so penibler beschreiben muß, belästigt fühlt, aber eigentlich eher einsam ist. Mit Vorliebe schimpft er über die "heutige Rumsbumsmusik. Na ja, reden wir nicht drüber, Geschmackssache, aber auch Charakterfrage."
Herr K. ficht einen Kampf aus. Mit wem, wissen und erfahren wir nie, aber der Frontverlauf wird festgehalten: "24. Juli, nicht August, wiederhole, 24. Juli".
Im August 2002 ist Herr K. verstorben, und weil er keine Erben hat, wird bei der Entrümpelung seiner Wohnung das Band gefunden. Daß die Kassette nicht im Mülleimer, sondern in den Händen eines Möbelpackers landet, der seit Jahren Tondokumente sammelt, ist nur ein Zufall. Bald machte der neue Fund im Freundeskreis des Sammlers die Runde. Wer es zu hören bekommt, den läßt es nicht kalt. Menschen haben teil am Zeugnis, die der, der es abgelegt hat, beargwöhnt bis gefürchtet hätte. Die Freunde des Finders, allesamt Kulturarbeiter und Musiker, sind eines Abends betrunken genug, um auf die Idee zu kommen, daß aus der rein akustisch festgehaltenen, aber alle Sinne des Urhebers beanspruchenden Welt des Herrn K. eine Schallplatte werden müßte. Sie erstellten also eine lange Liste von Bands, verschickten Kopien des Bandes und forderten dazu auf, die Aufzeichnungen musikalisch zu bearbeiten, das Unkonkrete ihrer Genauigkeiten gleichsam zweitzuvertonen. Gut ein Jahr später erlebt die Audiokassette ihr Comeback als CD. Damit wird auf Umwegen wahr, was Herr K. wiederholt prognostizierte: "Eine Kopie geht auch an die Medien."
Die Welt, um die es geht, war eng -"Eins ist gut: endlich, nach Jahren, ein Sicherheitsschloß." Jetzt wird sie ausgeweitet. "Blockwart" lautet nun der Arbeitstitel der Kompilation, die demnächst beim Münchner Label "Bodensatz" erscheinen wird. Es ist ein Begriff, der von Feuilleton-Experten zusammen mit der Gesellschaft für Deutsche Sprache zwischen "Bikini und "Bolschewismus" auf die Liste der 100 Wörter des Jahrhunderts gesetzt wurde. Aus der zugehörigen Definition kann man lernen: "Blockwart - in der Umgangssprache, heute ein Schimpfwort, stellvertretend für Schnüffler. Geprägt wurde dieser Ausdruck unter Hitler." Gemeint sind die untersten NS-Uberwachungsorgane ‚ "der Volksmund machte ‚Blockwart' daraus. Ein Blockwart hatte 40-60 Haushalte zu überwachen, und das machte ihn wichtig. Er hatte die Aufgaben, zu sehen, zu hören und zu melden. Etwa eine Million Blockwarte übten ihre Pflicht aus, flächendeckend. Doch nicht immer waren es die Blockwarte, die denunzierten, drei von vier Anzeigen, die bei der Gestapo eingingen, kamen aus dem Kreis der Freunde oder der Familie. Das Motiv: persönliche Streitigkeiten - und den Blockwart stempelte man dann zum Sündenbock."
Zuletzt tauchte der Begriff "Blockwartsystem" im Rahmen der Diskussion um das Modell "Neighbourhood~Watch" vor der US-Präsidentenwahl häufiger in Zeitungsberichten auf, um einen Aspekt der neuen amerikanischen Sicherheitspolitik herauszustellen. Darin ist ein Programm erkannt worden, um die denunziatorischen Energien eifriger Bürger anzustacheln.
"Meistens sind ja Fremde hier, wenn er nicht da ist, und das darf er nicht", sagt Herr K. über wen auch immer. "Bin gespannt, ob er Schlüssel nachmachen läßt." Ziepen, Blubbern und Klockern. Track für Track. Bei der Ubersetzung von analog zu digital haben die Herrn K. beerbenden Tonfetischisten wochenlang an der Veränderung, Verfeinerung oder Verzerrung der einsamen Stimme gefeilt, Minihörspiele inszeniert, mit Rumsbumstechno und Swing gekontert, den Exzeß an Daten und Satzpartikeln extrahiert und neu arrangiert. Der bedrückend leere Raum, der sich auf dem Originalband ausbreitet, füllt sich hier mit mannigfaltigen anderen Tondokumenten und Geräuschen. Das Ergebnis sind schließlich Stücke mit Titeln wie: "Vermutlich Meier", "Be part of neighbourhoodwatch", "Lauter/Leise", "Analyse du discours" ‚ "Tcm359v: Für die Vögel", "23. Oktober 1996 - 6. Juli (nicht August!) 2001", "Krach durch Musik", "Versehentlich gelöscht". Dazwischen immer wieder Originaltonfragmente des Lauschers und Beobachters: "Damit Sie Bescheid wissen und sich das merken."
Die Antwort der dreißig Musiker und Musikerinnen auf die klaustrophobischen Wahrnehmungen des Herrn K. lautet folgerichtig: Loop, elektronisch funktionale Schleife. Fast jeder lotet die Bandbreite des elektronischen Minimalismus aus. Das unauffällig Repetetive smarter Clubmusik geht ein politisierend gemeintes Verhältnis ein mit der obsessiven Anhäufung von Daten und den immergleichen Beobachtungen. Die Sätze des Herrn K. werden damit zwar nicht zum Rap, bekommen aber Rhythmus und eine höhere Dringlichkeit. Das von ihm verpönte Zeitgenössische nimmt ihn beim Wort. Daraus wird freilich kein politisches Statement im klassischen Sinne. Es geht eher um die Trost- und Witzlosigkeit der Bespitzelung an sich als um das moralische Entlarven einer Weltverschwörung. Die Künstler arbeiten genau mit dem Material, vermeiden vorschnelle Schlüsse oder den Sprung zur Psychologie. Herr K. wird nicht als Kuriosum präsentiert, sondern führt neben seiner Neuinszenierung eine Art Eigenleben. Was bleibt, ist jener schmale Grat zwischen allzu naheliegender Verachtung und so etwas wie Respekt. Punkrock, dem sich alle, die hier mitbearbeitet haben, verpflichtet fühlen, ist in den grob fünfundzwanzig Jahren seines Bestehens nicht erwachsen geworden, hat aber eine neue Asthetik entwickelt. Die Lücke zwischen dem, was wir hören, und dem, was wir nicht wissen, wird nicht mehr gekittet: "Fremder hier, mit Schlüssel." Die Intimität, an der wir hier teilhaben, ist eine wechselseitig imaginäre und nicht der einseitige Blick durchs Schlüsselloch. Herr K. inszeniert sich für die Nachwelt ja vor einem phantastischen Publikum. Er denkt sich eine Richter-Riege, vor der er erfolgreich seinen Prozeß gegen Lärmbelästigung führt und Anerkennung vom Vermieter erfährt. Gleichzeitig erzählen seine Stimme, Intonation und Satzbau unfreiwillig und indirekt von einer ganz anderen Realität Wir werden nicht Zeugen eines Lauschangriffs, erfahren weder Geheimnisse noch intime Geständnisse, sind nicht auf den Spuren eines Verbrechens, sondern inmitten einer beliebigen Mietshaushölle gelandet: unsichtbarer Kleinkrieg zwischen vermeintlich geschützten Privaträumen, Wand an Wand, wo jedes Geräusch durch billiges Gemäuer dringt und empfindliche Gemüter in den Wahnsinn treibt: "15. März 1998: Unterhaltung, drei Personen, aber leise, kein Geräusch. Ganz was Neues."
Herr K. ist nicht einfach ein Möchtegernspitzel. Seine Stimmung kippt zwischen kleinbürgerlichem Ordnungsfetischismus und melancholischem Weltschmerz. Was 1996 anfängt wie der Bericht eines verbiesterten Menschenfeinds an den Vermieter, endet mit wüsten Beschimpfungen auf selbigen und einem Abgesang auf Deutschland und die Welt im allgemeinen. Man meint Herrn K. vor sich zu sehen, wie er den ganzen Tag am Fenster, halb vom Vorhang verdeckt, die Straße bewacht und bemerkt: "Neuer Fremder gekommen, schwarz, Wuschelkopf." Und weiß: "Ein Mensch kann mehr Zirkus veranstalten als 'ne ganze Armee." Und folgert: "Ergo, Punkt, Punkt, Punkt, Quintessenz und Fragezeichen." Nach und nach erfahren wir, daß der Vermieter sich einen Dreck um das Haus schert; der anfangs imaginär Verbündete wird zum Feind.
So treibt Herr K. seine Enttäuschung noch einen Schritt weiter: "Deutschland ist auf dem absteigenden Ast. Da ist nichts Humanes mehr." Um sich schließlich einen Ort zu träumen, der jenseits des irdischen Trübsinns liegt und über dessen Rettungsversprechen sich Herr K. nicht sicher ist: "Hoffentlich sind die Ufos human."
(Frankfurter Allgemeine / Feuilleton - 15.12.2004)



Immer der Nase nach - Ein Reiseführer zu den wohl meistbesuchten WCs der Welt (Unicum über Stätten der Welt)

Seien wir doch mal ehrlich: Die prägendsten Urlaubserinnerungen sind oft nicht die, die man mit der Digicam festhält. Holger Dosch dagegen nahm sich sogar ein Jahr Zeit, um hinter die glitzernde Fassade der Touri-Fallen zu blicken. Das Ergebnis: Ein Reisebildband der besonderen Art.
Vom Marmorweiß bis zum Umbrabraun: Holger Doschs "Stätten der Welt" zeigen alle Schattierungen. Über 80 Sehenswürdigkeiten bereiste der Münchner in einem Jahr und lichtete mit der Kamera ab, was vor ihm schon viele Reisende besucht haben: Vom Taj Mahal bis zum Zuckerhut, vom Empire State Building bis zum Ayers Rock. Doch zwischen Doschs Büchlein und anderen Hochglanz-Reiseführern gibt es einen entscheidenden Unterschied: Holger Dosch fotografierte ausschließlich die "stillen Örtchen" der Sehenswürdigkeiten.
" Die Idee zu den Fotos entstand während einer Reise nach Paris", so der Wirtschaftsingenieur. "Auf dem Eifelturm sah ich eine vollautomatische, selbstreinigende Toilette, die von einer Klofrau bewacht wurde. Das fand ich sehr bizarr und fragte mich, ob nicht auch andere Touristen- Attraktionen interessante Klos haben." 2002 nahm sich der Münchner Unternehmensberater eine Auszeit und verwirklichte seine Idee. Getreu dem Motto "Kommen, sehen, auslösen" lichtete er jede Kloschüssel in ihrem Urzustand ab. Knallhart, ohne Beschönigung, und erst recht ohne Vorspülen. "Mit dem Buch wollte ich ausprobieren, ob Toiletten Indikatoren einer Kultur sein können", fachsimpelt Dosch. Und so bieten die Bilder einen entsprechend eindrucksvollen Einblick in andere Kulturen, oft tiefer, als manch Zartbesaitetem lieb sein dürfte.
Dabei scheint sich sogar ein bisher unbeachtetes Forschungsgebiet aufzutun. "Grundsätzlich teilt sich die Toilettenwelt in Sitz- und Stehklos und in Toiletten mit oder ohne Spülung", erklärt der Klo-Experte. Egal, ob tibetische Holztoiletten mit Haltevorrichtungen, von denen er "bis heute nicht weiß, wie man sie richtig benutzt" oder die unzähligen Knöpfe und Schalter eines japanischen High-Tech-Klos, nichts Menschliches ist ihm fremd. Als gewöhnungsbedürftig erwiesen sich jedoch selbst für den WC-Autodidakten öffentliche chinesische Toiletten ohne Trennwände. Er selber bevorzugt noch immer die europäische Variante: "Generell fand ich Sitzklos schon am angenehmsten."
Zum Glück ist aus seiner Idee kein geschmackloser Sanitärhauskatalog geworden: Je länger man in dem Band blättert, umso faszinierter starrt man in die Schüsseln. Fast scheint es, als entströme dem Buch ein Hauch von Kanalisation und Chlorreiniger, denn das sterile Weiß der Seiten steht im Kontrast zu dem teilweise eher bräunlichen Inhalt der Örtlichkeiten. "Mir gefiel die Vorstellung "schmutzige Orte" auf sauberem weißen Papier abzubilden", so Dosch. "Der Leser soll mit der Erwartung, er sehe einen edlen Reisebildband, das Buch in die Hände nehmen."
In den Kapiteln "Natur", "Kultur" und "Religion" sind die Aborte der entsprechenden Sehenswürdigkeiten fein säuberlich voneinander getrennt. Jede abgelichtete Kloschüssel wird durch aufschlussreiche Zusatzinformationen ergänzt. Akribisch werden Längen- und Breitengrad der Örtlichkeit, Lage, Entstehungszeit sowie zusätzliche Tipps aufgelistet, um die Klolektüre abzurunden. "Picknicken Sie in der Nähe?" so der Ratschlag für die Toilette des englischen Stonehenge. Und neben der Abbildung des WCs im Opernhaus Sydney ist zu lesen: "Der Besucheransturm beginnt gegen elf Uhr. Kommen Sie früher und bewundern Sie die exquisite Struktur der weißen Kacheln."
"Das Buch ist eine Parodie auf Hochglanzreisebände, auf deren Leser und ihre Erwartungen", meint Dosch abschließend. "Mich hat immer gestört, dass die meisten Reisebücher die gleichen klischeehaften, schwelgerischen Ansichten von Sehenswürdigkeiten bieten." An manchen Orten seien die Klos tatsächlich sehenswerter als die eigentlichen Wahrzeichen, so Dosch. Ansonsten gilt für alle Reisenden die Regel: Je höher gelegen und je religiöser die Stätten, desto beschissener das Klo.


Stätten der Welt (Martin Büsser in Testcard #14)

Dem Fotografen Holger Dosch ist mit Stätten der Welt ein Künstlerbuch ganz im Sinne des Prankstertums gelungen, also: Normabweichung und Irritation. Von Außen wirkt das Buch wie ein UNESCO-Geschenkband, eine Art hochoffizielle, nüchtern gehaltene Broschüre, wie sie gerne anlässlich von Staatsakten oder Konferenzen an ausländische Gäste verschenkt wird. Doch der Fotoband über die „berühmtesten Stätten der Welt“ zeigt nicht die Niagara-Fälle, den Mount Fuji, das Brandenburger Tor, die Golden Gate Bridge, die Akropolis und das Weiße Haus, sondern lediglich die Toiletten, die sich an diesen Orten befinden. Zu den jeweiligen Sehenswürdigkeiten gibt es Textkommentare und Tipps, die sich wiederum nicht auf die Toiletten, sondern auf die Sehenswürdigkeit selbst beziehen und jene steife Intimität imitieren, die auch offiziellen Reiseführern zugrunde liegt, etwa zum Eiffelturm: „Genau unter dem Stahlkoloss wird der Blick wie magisch nach oben gezogen.“
Man könnte dieses Toilettenbuch und seine Kritik an der „Repräsentationsfunktion“ berühmter Gebäude und Sehenswürdigkeiten als Fäkal-Witz abtun, hätte es nicht einen soziokulturellen Nutzwert: Selbst noch die Toiletten geben Auskunft über die kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Ortes, spiegeln Reichtum oder Armut des jeweiligen Landes wieder und zementieren Repräsentationskultur selbst noch im intimsten, abgeschlossenen Bereich. Dass Repräsentationsbauten „oft bis zur Unkenntlichkeit renoviert“ und Naturdenkmäler überlaufen werden, wie Dosch kritisiert, wird auch über die an all diesen Orten präsenten Toiletten deutlich. Den überflüssigen Geschenkbüchern ist somit ein weiteres überflüssiges hinzugefügt worden, allerdings eines, das seine Überflüssigkeit nicht verbirgt und das man daher sehr gerne verschenken möchte.


Stätten der Welt (Novum - World Of Graphic Design)

"Die großen Stätten unserer Welt: das Atomium, das Great Barrier Reef, der Petersdom, die Niagara Fälle und die Pyramiden von Gizeh. Holger Dosch hat sie alle (und noch einige mehr) bereist und dabei das wirklich Sehenswerte dieser Stätten dokumentiert - die Toiletten. Schön gestaltet und mit Tips und Anmerkungen versehen, ist Stätten der Welt trotz oder vielleicht gerade wegen des Themas durchaus faszinierend. Die Bilder sind nämlich keineswegs abstoßend, sondern wecken ein fast schon wissenschaftliches Interesse an diesen wenig beachteten Orten der großen Stätten dieser Welt."


Stätten der Welt. Ein ziemlich beschissener Reisebildband (Uni Compact)

"Als Holger Dosch einst den Eiffelturm bestieg, stieß er auf der obersten Plattform auf eine spektakuläre Hightech-Toilette mit automatischer Klobrillenreinigung. Diese wr für ihn spannender als der Eiffelturm selbst und inspirierte ihnn zu einem Reisebildband der besonderen Art. Nicht die Sehenswürdigkeiten, sondern deren zugehörige Lokusse, Donnerbalken, kurz Aborte, sollte dieser zeigen. Nach einer ausgedehnten Weltreise war schließlich genug Material beisammen für den Bildband, in dem man sogar noch einiges über die Orte um die Örtlichkeiten herum erfährt. Prima Klolektüre oder Geschenk für Menschen, die mit unerträglichen Reiseberichten langweilen."


Stätten der Welt (Back again)

"Ein Buch über die größten Natur- und von Menschen erschaffenen Sehenswürdigkeiten der Welt...keine besondere Erwähnung wert, sollte man denken. Bei diesem Buch ist alles anders. Bilder vom Taj Mahal, der Chinesischen Mauer, dem Berliner Reichstag, dem Eiffelturm und den Niagarafällen kennt man zur Genüge, aber wie sieht es da eigentlich hinter den Kulissen aus? Dieser Frage hat sich Holger Dosch angenommen und an all diesen und vielen weiteren Sehenswürdigkeiten das fotografiert, was hin und wieder weitaus wichtiger ist, als jedes Naturereignis oder jedes Monument menschlicher Leistungsfähigkeit: die Toiletten! Nun ist dies nicht das erste Buch über öffentliche Toiletten. Vor gar nicht so langer Zeit haben Stefan Schabenberger und Lars Lindigkeit ihr Buch „Spülen Nicht Vergessen“ mit Bildern öffentlicher Toiletten (inclusive der Benutzer) in Deutschland veröffentlicht, das in Thomas Gottschalks Sendung „Wetten Dass...“ ordentlich Werbung bekam und auch tatsächlich recht gelungen ist. Holger Dosch geht das Thema etwas zurückhaltender an und liefert dennoch das bessere Buch ab, weil es weniger Effekt heischend daher kommt. Das Format ist kleiner, es steht kein ganz großer Verlag dahinter, der viel Kohle in Promotion stecken kann und außerdem sind die Bilder ohne menschliches „Beiwerk“ aufgenommen. In seiner Schlichtheit wirkt das Buch sympathisch. Das Ganze ist auch weniger als das Konkurrenzprodukt auf Belustigung ausgerichtet, sondern sehr sachlich kommentiert, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Die Toiletten selbst werden überhaupt nicht kommentiert, sondern es gibt Fakten zu den jeweiligen Orten und einen kurzen persönlichen Kommentar. Im Prinzip also ein ganz normaler Fotoband, nur, dass statt der beschriebenen Stätten eben die jeweils dazu gehörende öffentliche Toilette abgebildet ist. Dabei ist hoch interessant, wie unterschiedlich in den verschiedenen Regionen der Welt die Bauweise der Toiletten ist. Dass die hygienischen Zustände natürlich auch extrem unterschiedlich sind, ist keine Frage, aber da gibt es so manche Überraschung, denn nicht immer sind die Verhältnisse so, wie man es erwarten würde. Da gibt es einfache Löcher im Boden und vollautomatische High-Tech-Klos, enge Kabinen und geräumige, weiße Toilettenschüsseln, schwarze, braune, silberne und und und. Und einmal mehr gibt es den Beweis: auf der ganzen Welt gehen die Leute auf Klo, es ist also nicht wie in Hollywood-Filmen, wo diese Örtlichkeit kaum zu existieren scheint. Ein schönes Buch, ein ungewöhnliches Buch über die gewöhnlichste Sache der Welt und ein sehr unterhaltsames Buch, das auf dem Bücherregal in der heimischen Nasszelle seinen Ehrenplatz finden sollte."


Rage against abschiebung die Compilation 1996-2003 (Spex 11/04)

"Dass das Asylrecht für Menschen bestehen sollte, die - wie es im Booklet der »rage-against- abschiebung«-Compilation heißt - »auf der Suche nach menschenwürdigen Lebensumständen« sind, wird von der Politik hierzulande permanent ad absurdum geführt, wenn Asylsuchende ohne mit der Wimper zu zucken in ihr »Heimatland« abgeschoben werden. Manche sterben schon unterwegs (z.B. der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb). Das neue Einwanderungsgesetz made in germany zieht verschärft die Grenze zwischen so genannten politischen und anderen Flüchtlingen; was die global entfesselte Wirtschaft »von selbst« erledigt, fällt nicht unter die Voraussetzungen zum Recht auf Einwanderung, sondern im Zweifelsfall unter behördliche Willkür: »Wer aus seinem Heimatland ausreist und erst dann Gründe schafft, die ein Asyl in Deutschland rechtfertigen sollen, wird künftig vom so genannten kleinen Asyl ausgeschlossen.« (faz.net) Ob klein oder groß: Gewidmet ist die aus Anlass des sechsten »rage ...«- Festivals in München Anfang Oktober veröffentlichte Audio/Multimedia-Doppel-CD den Opfern solch politischer Missstände in einem Europa, das zwar als Wirtschaftsraum neoliberaler Ausprägung wächst, sich nach außen hin aber verstärkt abschottet. Kommen und vor allem bleiben soll etwa in Deutschland am liebsten, wer »nützlich« (z.B. »hochqualifiziert«) oder bereit ist, eine Million Euro zu investieren oder zehn Arbeitsplätze zu schaffen.
Demgegenüber stehen hier Songs, Live-Mitschnitte, Interviews, Bildmaterial und Fotos von und mit den 44 Bands, die 1996-2003 ihren Beitrag zum Protest gegen hiesige Abschiebepraktiken und deren Profiteure (z.B. Fluglinien, siehe »Deportation Class«) geleistet haben. Das Booklet ist als »Leitfaden mit praktischen Handlungsanweisungen zur Verhinderung von Abschiebungen an Flughäfen« angelegt. Die Erlöse des Festivals bzw. der Compilation fließen in die konkrete Arbeit des Bayerischen Flüchtlingsrats."
(Wolfgang Frömberg)


Rage-Sampler-Kritik im In-München (Nr. 27)

"Rage Against Abschiebung - Die Compilation (Bodensatz) fasst alle Künstler auf dieser wunderschön gestalteten Doppel-CD (inkl. einer CD-ROM) zusammen, die in den Jahren 1996 bis 2003 auf den mittlerweile legendären Rage Against Abschiebung-Festivals gastierten. Mit dabei Chicks On Speed, Kante, F.S.K., Die Goldenen Zitronen, Mouse On Mars, Station 17, Merricks, Butterside Down, Crash Tokio, Die Moulinettes, Stereo Total u.v.a. Der komplette Gewinn aus den Verkäufen fließt natürlich in die konkrete Flüchtlings-Arbeit, um so die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrat e.V. zu unterstützen."


Der Rage Against Abschiebung - Sampler auf intro.de

"Es bedarf nur einer ganz einfachen Überlegung, um zu erkennen, wie grotesk das Recht eines Staates anmutet, Menschen abzuschieben. Wieso darf jemand, der sich nichts Unehrenhaftes zuschulden hat kommen lassen, nicht selbst entscheiden, an welchem Ort, in welcher Region und zwangsläufig in welchem Land er sich aufhalten möchte? Wer will ihm vorschreiben, nicht in seinem Land leben zu dürfen? Wer kann für sich reklamieren, derartige Besitzrechte für ein solch großes Territorium zu haben, dass er/sie bestimmen kann, wer sich darauf aufhält und wer nicht? Egal, ob man bei seinen Überlegungen nun im Philosophischen oder Politischen landet, jedem sollte klar werden, dass derartige Probleme sehr konkret sind. Zum Beispiel in den Abschiebeknästen, die es vielfach in Deutschland gibt und in denen Leute ohne jede strafrechtliche Verurteilung eingesperrt sind und auf ihre (oft) gewaltsam ablaufende Ausweisung warten. Wir wollten aber noch über Musik reden: Der bayerische Flüchtlingsrat hat nach fünf Benefiz-Festivals unter dem Namen ›Rage Against Abschiebung‹ nun eine tolle Compilation mit dem gleichen Titel und Zweck veröffentlicht. Auf einer Audio-CD sind 22 Songs von bekannten und engagierten Künstlern wie Kante, den Zitronen und anderen zu hören, auf der Multimedia-CD ist noch viel mehr Material von allen Künstlern, die auf den ›RAA‹-Festivals aufgetreten sind. Dazu gibt’s ein Booklet, das die Abschiebepraxen an Flughäfen sehr eindrücklich beschreibt. Es gäbe noch viel mehr zu sagen, an dieser Stelle muss aber reichen, dass sich die Anschaffung dieser CD mal wirklich in vielfacher Hinsicht lohnt. Kaufen, bitte."


Weinzierl-Interview in der SZ vom 15.12.04

Scheitern mit Erfolg

Der Miniverlag Bodensatz feiert Fünfjähriges beim „Einkommensteuerrechtlich-irrelevant-Festival" im Kafe Kult

Der Bodensatzverlag bezeichnet sich selbst als „weiteres, unnützes Label" für „Dilettanten mit zu viel Zeit und wenig Talent" und als Forum für „kollektives Scheitern". Mit diesem Programm ist der Verlag nun fünf Jahre alt geworden. Ge­feiert wird am Freitag, 17. Dezember, auf dem „Einkommensteuerrechtlich-ir-relevant-Festival" mit Auftritten von Bands, „Deppenkaraoke" und „Gruppen-kuscheln" im Kafe Kult (Oberföhringer Straße 156, 20 Uhr). Matthias Weinzierl, Angestellter beim Bayerischen Flücht­lingsrat, ist Mitbegründer des Labels.

SZ: Was ist „Deppenkaraoke"?
Weinzierl: Dafür habe ich von einem japanischen Freund extra eine sehr schlechte CD bekommen. Wir bieten eine Plattform, damit sich unsere Gäste auf den Brettern, die die Welt bedeuten, selbst produzieren können.

SZ: Das scheint überhaupt das Kon­zept des Bodensatz-Labels zu sein.
Weinzierl: Wir sind kein Label im klas­sischen Sinn. Angefangen haben wir als Kreis von punkig angehauchten Musi­kern, die ihre typischen acht Auftritte hatten, sich dann wieder auflösten und umgruppierten. Unser erstes Schwach-sinnsprojekt war die Präsentation eines nicht-existierenden Buches mit dem Ti­tel „Bumsen - ein Leben am Limit". Wir haben ein Cover drucken lassen und da­rin den Städtefahrplan Köln-München eingewickelt - ein großer Erfolg. So ging es dann weiter mit einem Sampler von Songs nicht mehr existierender Keller­bands, einem Kurzfilm über eine Bur­schenschaft und einem Bildband über die öffentlichen Toiletten der Sehenswür­digkeiten der Welt.

SZ: Ebenfalls große Erfolge?
Weinzierl: Kommerziell weniger, weil wir kaum etwas verkaufen. Im Mittel­punkt unserer Arbeit steht vielmehr ein gemeinsamer Nenner - dass viele Leute an etwas herumwursteln und sich auf die­se Sache beziehen. Die Quintessenz von Bodensatz ist der Spaß am Machen. Das absolut Wichtigste daran ist, dass man sich nicht so ernst und wichtig nimmt. Wir haben keine Lust auf das, was im nor­malen Kunstbetrieb oft passiert.

SZ: Nämlich?
Weinzierl: Dieses wahnsinnig ver­krampfte Spackentum. Selbst wenn ei­ner nur einen Hundehaufen auf einen Tisch legt, wird eine irre Blase darum ge­macht. Totales Verlierertum charakteri­siert uns aber auch nicht. Manchmal reißen wir schon was und bekommen sogar eine Kritik in der Spex.

SZ: Die gepriesenste Bodensatz-Band ist wohl „Kamerakino ".
Weinzierl: Ja, mit denen kamen die Kunstmusik-Nasen zu uns. Vorher wa­ren es vor allem die Suffpunks. Aber wir haben im Bodensatz auch Hardcore-Mu-siker mit Combos wie der Wolf Biermann Explosion zusammengeführt - Gymnasi­asten, die eine Art musikalische Satire
machten. Das Nachfolgeprojekt heißt Arsch mit Orden. Die spielen auch auf un­serem Festival - aber ganz am Anfang, sonst sind sie am Ende wieder zu betrun­ken, um aufzutreten.

SZ: Welche Bands bringen Sie außer­dem zu Gehör?
Weinzierl: Rumpeln, das Solo-Projekt von Anton Kaun, der sonst Licht- und Vi­deoinstallationen für Notwist und Console macht. Er zerlegt zum Beispiel einen Plattenspieler auf der Bühne. Dann kom­men noch Am Dam Death, die Proll-punk-Legende aus Laim, und als Welt­premiere die singende Mädchen-WG aus dem Westend, Hasenstall. Die können, glaube ich, vier Lieder.

SZ: Wie ernst ist es Ihnen mit dem Spaß?
Weinzierl: Ziemlich, denn es steckt viel Zeit und Arbeit drin. Viele von uns haben keine Lust auf den üblichen Film: tagsüber arbeiten, abends in die Kneipe gehen. Wir wollen etwas Erfüllendes ma­chen und stecken eine große Energie hi­nein. Das Ergebnis ist auch nicht nur Trash. Wir können einiges herzeigen und stolz darauf sein.

Interview: Jochen Temsch


Rezension zu Dosch´s "Stätten der Welt" in Konkret 11/04

Der Ort und sein Örtchen

Holger Dosch fotografiert die Toiletten an den „Stätten der Welt“.

Auf den ersten Blick ist dies eine durch ihre gnadenlose Reduktion überzeugende Satire auf die Reiseführer, die schwelgerischen Fotobände und die Verwandlung der Welt ins publizistische Coffe-table-Format: Holger Dosch bereist für seinen Fotoband „Stätten der Welt“ die „Stehenswürdigkeiten“ unserer Erde, von den Niagara-Fällen zum Opernhaus in Sydney, von Neuschwanstein zur Großen Chinesischen Mauer. Und er fotografiert davon ausschließlich eine „andere Seite“, den Ort, an dem sich der Blick verengt und den man üblicherweise nicht speichert im fotografischen Gedächtnis der Reise – wohl aber in den Tiefen der eigenen Erfahrung: Der Ort setzt sich in der Erinnerung zusammen aus dem, was man sieht, was man hört, was man riechen und schmecken kann und muss, und wie man mit der körperlichen Entsorgung fertig wird.

Dosch fotografiert, immer aus einer ähnlichen Perspektive (man könnte sagen: aus der eines stehenden Mannes, der das Örtchen gerade betreten hat), die Toilettenschüsseln der auratischen Stätten, auf deren Attraktionen in einem knappen Legenden-Text neben dem entsprechenden Toilettenschüssel-Bild hingewiesen wird: Lage, Entstehungszeit, Bedeutung, Fakten, Beschreibung und ein Tipp: „Kommen Sie, wann sie wollen, nur nicht mittags. Würdigen Sie Miss Libertys Schönheit nur von außen“, heißt es etwa zur Freiheitsstatue (die Toilette schein ganz okay).

Als satirischer Blick-Wechsel ist das zunächst mal ein gelungener one-liner. Ein Protest gegen den Hochglanz-Besitz der Welt, gegen das Zutodefotografieren und Entseelen der Welt durch die Bilderkultur. Mal abgesehen on diesem image choc (oder ist es doch schon die Parodie auch darauf?) bildet sich zum zweiten aus den Bildern auch wieder eine imaginäre Reise, zusammengesetzt aus Erfahrungen, Erzählungen, Medienrausch und, gewiss, auch Vorurteilen. Am Mount Everest möchte ich ganz bestimmt nicht müssen müssen. Das Brandenburger Tor bietet eine saubere, neue deutsche, behindertengerechte und geräumige Toilette. Und was die Al-Azhar-Moschee in Kairo anbelangt: Würg! Mann kann das Buch ja auch, statt als Statement oder Satire, als ganz praktischen Reise-Begleiter benutzen: Es empfiehlt sich, wenig zu trinken, wenn man das Taj Mahal besichtigen will.

Doch eine (imaginäre) Weltreise am Leitfaden der Kloschüssel kann man eb en auch nicht anders schreiben als eine Kulturgeschichte der Körper-Codes, übertragen paradoxerweise in die Kunst des Augenblicklichen. Je künstlicher und fiktionaler die „Stätte“, jener magische Ort, der die großen Routen der Welt vernetzt, desto wahrer und materieller seine entsorgungstechnische Kehrseite. Die Wahrheit der Welt hat sich nach innen gestülpt, und das kleine, geschlossene Örtchen wird zum verbogenen Kern der Wirklichkeit.

Natürlich ist das ganz so einfach nicht. Denn gleich darauf muss man sich ertappt fühlen. Schon wieder geht es um die eigenen Codes und Standards. Wer eigentlich sagt, dass ein strenger Kachelraum wie der an der Golden Gate Bridge, in dem es fast nichts mehr gibt, was man überhaupt beschmutzen könnte, besser ist als ein durch ein paar Steine markiertes Loch im Felsen, wie beim Pachamama-Tempel? Ist das Vorhandensein eines Klodeckels eigentlich Kultur, Neurose, Mythos oder hygienische Dummheit? Erkennt man patriachalische Kulturen an der Gleichgültigkeit gegenüber dem Dreck auf der Toilette? Oder ist das gar eine geheime Botschaft der besuchten Kultur an die Besucher? Mal Angabe, mal Verachtung, vom Abzocken gar nicht zu reden? Und, hey, schreiben sich nicht alle Klogeschichten, jenseits der Stätten-Differenz, sehr unterschiedlich zwischen Männern und Frauen? Oder anders gesagt: Setzt nicht die Angleichung der Klogeschichten eine bestimmte hygienische und kulturelle Form des Örtchens voraus? Verrückterweise ähneln sich das ganz und gar „primitive“ und das ungeheuer elaborierte und technisch codierte darin, dass sich die Toilette unabhängig machen kann von der Gender-Konstruktion. Dazwischen sieht es oft wahrhaft finster aus. Das wiederum hat seine Auswirkungen auf das Reisen. Auf die Dialektik von Sehnsucht und Notdurft. Zur liebevollen Reise gehört es vermutlich, einander zu helfen, eine akzeptable Toilette zu finden.

Das Verschwinden des Ortes und das hyperrealistische Hervortreten des Örtchens führt schließlich auf eine dritte, philosophische Ebene der, nunja, Betrachtung. Nämlich zur Frage, was „sehenswürdig“ und was „sichtbar“ ist. Man erklärt es in einer (nicht minder knappen) Nachbemerkung so: „Reisende lieben Sehenswürdigkeiten. Grund für diese Begeisterung ist die spezielle Repräsentationsfunktion der bedeutenden Stätten, die vom Besucher oftmals weniger als aussagekräftiges Symbol der Natur, Kultur oder Religion der jeweiligen Region gewürdigt werden, denn fotografisch als authentischer Beweis für die eigene Anwesenheit“. Ganz konsequent sehen wir denn auf Doschs Foto das Örtchen im Gegensatz zur Stätte, an der jeder unbedingt gewesen sein muss, als den Raum, in dem niemand gewesen sein will. Nicht nur, weil es ja schon peinlich ist, ihn zu betreten oder aus ihm herauszukommen, sondern auch, weil er der Stätte den Rest ihrer Erhabenheit raubt.

Aber wenn der magische Ort nur durch meine Anwesenheit wirklich wird, so, als würden wir, wenn wir den Tempel am Meer endlich erreichen, als reale Wesen eine Fiktion betreten, in ein Bild eintauchen, das wir vorher schon auswendig kannten, hat er dann seine Aura verloren? Sie ließe ja gerade dies erfahren: Dass das Große wirklich existiert, dass die Natur verrückt spielen und Menschen über sich selbst hinaus bauen können, dass die Magie dieser Stätte immer überraschend bleibt, weil sie eben nicht nur als perfekter Ausdruck einer „Laune der Natur“, einer Kultur, einer Herrschaft, einer Religion existiert, sondern darüber hinaus als Schönheit einer erhabenen Sinnlosigkeit. Was wir an Bildern gespeichert haben, von den Stätten dieser Welt,, hat sich eben nicht nur im Coffee-table-Format und im Tourismus-Projekt, sondern auch durch seine mehr oder weniger vernünftige Kontextualisierung entwertet. Es ist nicht die Frivolität des Massentourismus, sondern die post-koloniale Aggressivität einer praktischen Vernunft, die die magische Stätte nie gesehen, aber schon zu Tode erklärt hat. Nur Fremdheit mag uns hier retten.

Die Rechnung geht aber oft nicht auf. Wenn man wirklich da ist, am Tempel an den zwei Ozeanen, haut einen der Blick trotz allem um. Ganz und gar überraschend, weil die Größe dieses Bildes dann doch nicht in seinem Sinn aufgeht. Die große Stätte auf der Welt, das macht sie aller medialen und ökonomischen Abnutzung gegenüber immun, liefert ein Bild, das nie vollständig lesbar ist. Auf den ersten Blick wirkt es daher als komischer Bruch, dass sich gerade hier das Körperliche so vehement in die Erhabenheit mischt. Der gebildete Mensch lacht über den Spießertouristen, der angesichts der Pyramiden von Gizeh über seine Verdauungsprobleme lamentiert. Der Aristokrat und seine bürgerliche Ableitung (in seiner Spätform: der Reisende, der Wissen, Bücher, Individualität und Geld aus Europa mitbringt) verbünden sich im Blick mit der Erhabenheit. Da fühlt man sich doch ganz klein, sagt er, und meint das Gegenteil: Er bekommt etwas von der Größe ab, die er freilich zerstört durch sein ignorantes Wissen. Was er nicht ertragen kann, ist die Sinnlosigkeit der Schönheit dieser Stätte. Wir wissen es aus Erfahrung: Er muss schwafeln an diesem Ort.

Der kleinbürgerliche Tourist freilich, der das Wissen stets erst durch die Reise und in ihr, wenn überhaupt, erwirbt, begegnet ihr, schnell ist das Staunen verbraucht, mit der verkleinernden Bannung (der Fotografie, dem Souvenir, dem „Führer“), mit dem Versuch des „Festhaltens“ einerseits, andrerseits aber auch mit einer ziemlich radikalen Wieder-Verkörperlichung. Die Imbissbude und eben die Toilette am Schiefen Turm von Pisa versichern den Reisenden, der sich von der ästhetischen Vernunft ebenso wie von der medialen Fiktionalisierung der Stätte bedroht fühlen muss, wieder seiner selbst. An diesen stillen Örtchen läßt sich das verlorene Ich rekonstruieren. Erst in den Nischen, in den kleinen Abgründen, in den entlarvenden Peripherien kommt sein Bewusstsein wieder zu sich. So ist er (wie gesagt: von den kulturell „Höherklassigen“ satirisch beäugt) stets damit beschäftigt, hinter dem erhabenen Blick sinnloser natürlicher und architektonischer Schönheit die gesellschaftliche Praxis des Augenblicks zu erblicken. Die Toilette interessiert ihn wirklich, auch wenn er dies aus naheliegenden Gründen in seiner Reise-Erzählung verklausulieren muss. Und der reisende Proll, so wie ihn sich unsere populäre Kultur zum Popanz gemacht hat, zwischen Ballermann 6 und Fußballarena, zeichnet sich ohnehin durch die Fähigkeit aus, seine Körperlichkeit gar nicht erst zu verlieren. Rom? Ja, da habe ich auch schon mal gekotzt.

Offensichtlich ist der befremdete, praktische oder satirische Blick auf das Örtchen hinter dem großen Ort von Kultur, Klasse und Geschlecht abhängig (und wiederum: von Konstruktionen und Fiktionen derselben). Nicht nur den Bildern, sondern auch den Blicken ist daher mit Vorsicht zu begegnen. Wenn man darüber ins Grübeln gerät, ist das Buch „Stätten der Welt“ also mehr tricky, als man auf den ersten Blick erwartet. Bricht es den Blick, oder ist es Teil eines bereits gebrochenen? Und würden wir ganz anders (hin)sehen, wenn es sich um die Toiletten des Bier-Kiosks am Lido di Jesolo, vom Müngersdorfer Stadion, von Woolworth oder Busbahnhöfen handelte? Oder macht erst die backstory, der Bezug auf die Erhabenheit der anderen Seite, die story zum picture. Dann aber wäre unser fotografischer Blick in die Kloschüssel nicht das Gegenteil, sondern Bestandteil der Fiktionalisierung der Welt.

Wie gut, dass Holger Dosch seinem Buch keine Gebrauchsanweisung mitgegeben hat.


Weihnachtsgeschenk für Globetrotter (Playboy)

"Der Bildband "Stätten der Welt" von Holger Dosch wird...die Augen für das Wesentliche öffnen. Schließlich besuchte der Autor mehr als 80 der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten: vom Mount Everest zum Zuckerhut, vom Petersdom zum Capitol und von der Chinesischen Mauer bis zur Golden Gate Bridge. Er konzentrierte sich dabei nur auf das stille Örtchen vor Ort. So wird aus einem allwissenden Globetrotter vielleicht noch ein richtiger Klobetrotter."



Fist in Face - Schattenspringer -EP auf Heavyhardes.de

"Schön, dass es noch Überraschungen gibt. Eine davon ist mit Sicherheit die Münchner Hardcore-Combo Fist In Face. Dem Namen und dem Cover nach, hätte ich zuerst auf eine durchschnittliche NYHC-soundalike-Prollcoreformation getippt. Schwerer Irrtum meinerseits. Statt dessen gehe ich ausnahmsweise mit der Bandinfo konform und gebe als Referenzen Refused und Such A Surge an.

Sicher, die Genialität eines "A Shape Of Punk To Come" oder "Agoraphobia" wird dabei natürlich nicht erreicht. Trotzdem schaffen es Fist In Face angenehm, sich in einer bisher unterbesetzten Lücke Breitzumachen und diese auf angenehmste Weise auszufüllen. Richtige Schwachpunkte gibt es nicht auszumachen. Die Songs kommen direkt auf den Punkt, schaffen es im Ohr zu verweilen und werden selbst nach dem dreißigsten Durchlauf nicht langweilig. Dazu sind die zum Teil deutschen Texte schön unpeinlich und erfreulich mitgröhlkompatibel. Klar, letztendlich geht’s auch hier um altbekannte Hardcore-Standards wie Freundschaft ("Das letzte Mal", "Blender") oder darum, zu seiner Meinung zu stehen ("Take A Stand"). Dabei geht man aber weit weniger plakativ vor als ein Gros der versammelten Genrekollegen.

Wenn man etwas bemängeln möchte, dann die vielleicht etwas krachige Produktion, die eher Demoniveau aufweist. Trotzdem eine ganz klare Empfehlung von mir. Wer auf intelligenten Hardcore steht, sollte dringend obige Homepage anchecken.
(Anmerkung zur Spielzeit: Nach dem letzten Song sind zwei Minuten Pause, danach gibt’s noch zweieinhalb Minuten lang ein paar überflüssige Studiospielereien.)"
Andreas

Fist in Face - Schattenspringer -EP im OX-Fanzine

"Es ist also immer noch genug Wut da draußen. Die Münchner FIST IN FACE prügeln sich ganz schön heftig durch die Hardcore-Schiene, schreien eine Menge Hass ins Mikro und schieben trotzdem ab und zu noch ein paar groovige Momente unter das Geprügel, das schon mal kurz in wunderbares Punkergekloppe umschlägt - nur um dann wieder ganz runter in die Magengrube zu gehen.

Manche der Texte sind dabei in Deutsch, andere dann wieder in Englisch - was für einen Grund so etwas haben soll, ist mir in solchen Fällen nicht ganz klar. Zumindest erfüllt das Debüt der Bayern durchaus die Erwartungen, die man an Produkte aus dem Bodensatz-Verlag stellt.

Der bezeichnet sich selbst nicht ohne Grund als kultureller Enddarm der Stadt. Seine jährlichen Festivals sind eine unübertroffene Zusammenrottung schräger Formationen, die vor allem eines verbindet: Der Trash-Faktor. Eine wilde Bande ist das."

(28:03 ) (07/10)

© by OX-FANZINE [55] und Alex von Streit

Die „Stätten der Welt“: Eine Reisebildbandparodie (Go München, Juni 2004)

Noch so ein Buch zum Verschenken nach dem Motto „Für den, der schon alles hat“? Vielleicht. „Reisebildbandparodie“ nennt der Autor Holger Dosch seinen im Münchner Bodensatz Verlag erschienen Bildband „Stätten der Welt“. Dosch nimmt uns mit auf eine Weltreise vom Ayers Rock in Australien, über den japanischen Mount Fuji, das Brüsseler Atomium bis hin zum Empire State Building. Nur dass er uns nicht die totfotografierten Touristenstätten ein weiteres Mal präsentiert, sondern sich dort aufs Klo begibt und Vergleiche anstellt, insgesamt 50 an der Zahl. Akribisch wird neben der Toilettenschüssel vermerkt, um welche Sehenswürdigkeit es sich handelt, es folgen eine kurze Beschreibung sowie ein nützlicher Reisetipp wie (zu unserer Abbildung) „Warten Sie, bis der Berg mit den einmaligen ,Tafeltuch’-Wolken bedeckt wird. Vorsicht vor Raubüberfällen!“ Man kann das Ganze nur als Klamauk nehmen, sicher. Nach anfänglicher Skepsis jedoch ist man plötzlich doch in dieses Büchlein vertieft und, ja, findet es originell. Go München


Bodensatzfestival `03 in der SZ vom 22.12.




Kamerakino und Operativer Vorgang Melancholie im prager frühling

Es liegt in der natur der dinge, dass, wenn musikgruppen sich mental und technisch stark genug fühlen, eine single aufnehmen um diese dann in einem passenden Rahmen zu präsentieren.
Zwei dieser Sorte konnte man am 16.09.2003 im prager frühling bewundern.
Die schon vielseits bekannte
Blasrockcombo Operativer-Vorgang-Melancholie stimmte das Publikum von Anfang an auf einen, in jeder Hinsicht, fetzigen Abend ein und brachten mit einem Kessel voller bunter Hits wie z.b nemaj pejo oder einem ihrer ganz großen Nummern dem maxglaner faschingsmarsch den Saal zum kochen. Den Höhepunkt dieses Abends stellten ohne Frage die weit über Münchens grenzen bekannte Band Kamerakino dar .Mit ausdrucksstarken Texten und der dazugehörigen Portion No-art-punk-rock machten die Jungs und Mädels von Kamerakino ihrem Namen wieder mal alle Ehre.
Aus dem Umkreis der Band konnte man an diesem Abend erfahren, dass die Veröffentlichung ihres ersten großen Albums unmittelbar bevorsteht. Man darf gespannt sein. Was die präsentierte Single der beiden Bands betrifft, davon wurden an diesem Abend 140 Stück verkauft. Zur Freude des Bodensatz..

Arsch mit Orden auf dem Street-Life-Festival

Das Festival wurde laut Veranstalter von ca. 150000 Menschen besucht.
> Nicht alle davon wurden Zeugen eines chaotischen, fehlerdurchwachsenen,
> ingesamt aber wieder recht formidablen Arsch Mit Orden - Auftritts. Das
> Publikum (v.a. die trotz der erdrückenden Mittagshitze in der Sonne
> ausharrende Stammgemeinde) war zufrieden und voll des Lobes. Anwesende
> Kinder konnten mit steinerhartem braunen (!) Anthro-Eis-am-Stil beglückt
> werden, mit dem die drei Künstlermissionare von einem wütenden
> Eisverkäufer beworfen wurden. Japanische und amerikanische Touristen
> waren begeistert und veranstalteten spontan eine Foto-Orgie, bei Maria,
> Maria wurde geschunkelt und gesungen, Passanten aller Colleur
> verlangsamten stets ihr Tempo, teils um kurz darauf kopfschüttelnd
> weiterzuradeln oder -gehen, teils um mit (noch) ungläubigem Lächeln die
> Show zu verfolgen. Gespräche mit Religionslehrerinnen etc. folgten nach
> dem Auftritt... Aus erster Hand wissen wir, dass Jesus seine dortige
> Materialisierung als die bisher beeindruckendste seines doch schon gut
> 2000 Jahre währenden "Lebens" bezeichnet. Die Soundtechniker gaben nach
> dem Auftritt Tips, "falls ihr jemals wieder auf einer Bühne stehen
> solltet". Alles in Allem also eine runde Sache. Mors Nidus Phoinicis
> rundete das Event mit lieblichen Herzschrittmacher-Sounds hervorragend
> ab, für Dialysegerät-Klänge war leider keine Zeit mehr. Der
> Wehrmachtstropfen zum Schluß: die Polizei verhinderte die Ausstrahlung
> des Bodensatz-Films "Corona Hoch!", indem sie einfach spontan ab 23.00
> Uhr das Verwenden von Lautsprechern für das gesamte Festival verbot und
> so ihren eigentlichen Grund (Corona Hoch!) erfolgreich verschleiern konnte.
>
>

Frankfurter Rundschau berichtet

Matthias Weinzierl vom Münchener "Café 104" kümmert sich um Eingewanderte ohne Papiere.
-> Zum Bericht

kamerakino in bamberg

Auf dem Solidaritätsfestival von amnesty international gaben sich die Herren und Dame von Kamerakino die Ehre. Völlig aus dem Rahmen fiel Signor Federicco Sanchez, seines Zeichen Sänger, der ganz wider seiner sonstigen Gepflogenheit einen äusserst souveränen geradezu frechenn Auftritt hinlegte. So konnte man ihn noch in der Weltwirtschaft vor ein paar Wochen leicht verkrampft und Zustimmung bei seinen Bandkollegen suchend erleben hingegen in Bamberg wagte er sich bereits bei einer der ersten Nummern ins (fast völlig) fremde, sehr junge Publikum. Erol überzeugte besonders als die "lustige person", dargestellt durch eine bemalte serviette, die er mittel eines Einmachgummies um seinen Kopf spannte... auch der elegante herr von umaradum (in schwarzen Anzug), der geigende Truderinger überzeugte trotz heftiger Sonnenbrille.... An der Zieh-harmonika wie gewohnt souverän Sandra. Alles in allem ein schöner,runder abend ...

SPEX  no. 05/´03 - `Woran bastelt dieses Land?/´das andere München
über das BODENSATZ-LABEL

JELLO BIAFRA (ex DEAD KENNEDYS)/ALTERNATIVE TENTACLES über das KUBENOTHAFT-Demo

WASTEOFMIND über AUTOZYNIK

Endlich mal wieder eine Platte aus dem "Für- Normalsterbliche- einfach- unausstehlich" -Sektor. Wer sich zum ersten mal die 68 Minuten des Debütalbums der Münchener Autozynik zu Gemüte führt wird wohl ernsthaft daran zweifeln, ob die Band das Ganze hier ernst meint oder man nicht gerade eine Verarschung höchster Perfektion über sich ergehen lässt. Disharmonischer Gesang, der an frühe Deutschpunkbands erinnert und in insgesamt drei verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Serbokratisch) daherkommt, dazu ständig variierende Musik, die sich am ehesten noch als traditioneller Folk-Psychopunk charakterisieren lässt, ergeben eine Melange, die sich nicht unbedingt als nette Hintergrundmusik fürs nächste Kaffeekränzchen eignet. Mit viel Pathos werden die zumeist nicht so ganz leicht verständlichen Inhalte präsentiert, kreischende Zwischentöne und Geräusche aus der Tierwelt und sonstigen Umwelt gehören zum irritierenden Sound-Cocktail ebenfalls dazu und verlangen eine Menge Aufmerksamkeit vom Hörer.
Wer also demnächst mal wieder einige surreale Stunden vor den heimischen Lautsprechern verbringen will, möge sich das Polka-Punk-Debüt der innovativen Musiker geben, alle anderen seien gewarnt, denn diese Soundvielfalt könnte so manchen arglosen Musikliebhaber in den Wahnsinn treiben.

TRUST Nr. 91 Dez/Jan 01/02

Lord Satan, Satan, Satan! Weirdo-Stuff aus München! KubeNothaft legen mit ihrer im schicken Pappschuber daherkommenden Debut CD einen 76-minütigen Höllentrip durch den Spacerockfricklejazzcore-Jungle vor. Klingt wie ne Endlosjamsession der Butthole Surfers mit The Notwist, No Means No (die gecovert werden), F/i, My Bloody Valentine, Queens Of The Stone Age, Zappa und Slayer im LoFi-Gewand. Leckopfanni ist das abgefahren! (frank d.)

SZ-kritik vom 5.09.2001 zum Kamerakino-konzert

NETZSTRÜMPFE IM GEMÜSELADEN
Die Münchner Band "Kamerakino" erforscht die Grenzen der Hermeneutik

Es war einer dieser Abende, an denen die Combo eine Triangel ist, bedient von einem blutigem Fleischermesser. An denen die Geigenkantilene Hallo sagt zum engen, leuchtend blauen T-Shirt der Posaunistin, zu deren Post-Disko-Rhythmuskörper. An denen viele für und in sich höchst bemerkenswerte Einzelteile eine Summe ergeben, der mit einem hermeneutischen Ansatz nur höchst unzureichend beizukommen ist.
Kamerakino kann man nicht erklären. Weder verspricht die Analyse von Textzeilen wie "wir emsigen Ameisen schlafen nie" oder "Gemüseladenständer her, Gemüseladen lieb´ich sehr“„ im streng logischen Sinn einem höheren Erkenntniswert, noch lässt sich die Musik unter irgendetwas, was entfernteinem erkennbaren Stiletikett ähnelte, umfassend subsumieren. nach Aussage von Sänger Frederico begann diese siebenköpfige Münchner Musikgemeinschaft vor eineinhalb Jahren als eher melancholische retroband, doch weiß man ja zu einem, wie viel man auf Selbstaussagen von Künstlern geben kann, und ist zum anderen an diesem abend die Melancholie im Club 2 tatsächlich vertreten, nämlich durch die Vorband, welche hier eine gemeinsame Vinyl-Single (bodensatz) mit Kamerakino präsentiert: Hektor und Rositha.
Dies ist ein mittlerweile in München beheimatetes deutsch-französisches Freundschaftsprojekt mit einem gesundem Faible für Netzstrümpfe. Während Hector stoisch und rotblond das Akkordeon bedient, mahlt sich Rositha mit mühlenradgleicher Stimme durch diverse Coverversionen, die, mit Unterstützung des Bassisten Jack Jones, zu dunkel schimmerden Edelsteinen einer perfekt psychiotischen Darbietung werden. So klingt etwa Olivia Newton-Johns. „You´re The One That I Want“ nicht mehr nach sommerlichen Präpubertätserotik, sondern nach einem Verzweiflungsschrei in einer fast verlassenen Bergarbeitersiedlung von Wales.
der Trauer Ende ist dann Kamerakinos Unterhaltungsspagat zwischen Polka, New wave Impro, dada und Rock: mental leicht übersteuerte Zuckerbäcker des Widersinns.
EGBERT THOLL

Kritik über den Bodensatz-Sampler aus dem "El Rockerito" (Argentinien)



Eine ungefähre Übersetzung liefert uns Harry:

MUSIK VON UNTEN
Soweit ich verstanden habe kommen alle Bands aus München. Das aussergewöhnliche an dieser CD ist aber, daß viele der Beteiligten in verschiedenen Gruppierungen auftreten und dann auch noch die Instrumente wechseln. Texte in Deutsch und Englisch, 25 ziemlich abwechslungsreiche Lieder, alle zwischen punk, pop und rock (mehr oder weniger). Das heisst, es gibt alles von abgefahrenem Krach bis zu singenden Frauen, die mit verdorbenen Stimmen daherkommen. Sehr interessant, wirklich. Ausserdem hat mir das Cover sehr gefallen. Wenn du ein offener Mensch bist, versichere ich Dir, daß Du hier etwas finden wirst, was dir gefallen wird. Du kannst dir mp3´s von der Webseite runterladen oder sie über die Seite bestellen. Wenn du lieber schreibst, mach das an Weinzierl.